Eine wahre Geschichte zum 70. Jahrestag des Kriegsendes.
Aufgezeichnet von Georg Fink, veröffentlicht am 18. Mai 2015 in der Augsburger Allgemeinen.
Auch 70 Jahre nach Kriegsende fasziniert die schier unglaubliche Geschichte von Mohammed ben Mansour die meist älteren Bürger im Holzwinkel. In den letzten Kriegsjahren lebte mitten in Glöttweng im Austragsstüble der „Adler-Wirtin“ Josefa Fink, der dunkelhäutige Mohammed ben Mansour, aus Libyen stammend, mit seiner weißen Frau Selma und deren Tochter Tefida mit ihren Söhnen Enrico und Axel. Wie war sowas im rassistischen Nazi-Deutschland nur möglich? Das Leben von Mohammed ben Mansour endete trotzdem nach Kriegsende tragisch.
Unsere Geschichte beginnt in den 30iger Jahren in München. Der Besitzer des weltberühmten „Zirkus Krone“ suchte für sein Automobil einen passenden Chauffeur. Es sollte ein dunkelhäutiger Fahrer sein, der zu seiner internationalen Artistentruppe und Tierwelt passte und so wurde aus Mohammed ben Mansour der Chauffeur des Zirkusbesitzers Carl Krone. Eine Kartenverkäuferin die im Zirkus beschäftigt war, lernte den Direktionsfahrer kennen und sie heirateten. Lange ging alles gut. Doch in den letzten Kriegsjahren entschloss sich ben Mansour mit seiner Familie auf dem Land vor den NS-Schergen unterzutauchen. Vermutlich über die neu erbaute Autobahn fand ben Mansour mit seiner Familie beim Schmied von Glöttweng am Ortsanfang in einer hölzernen Hütte am Waldrand seine erste Bleibe. Mit dabei hatte er ein handbetriebenes Kinderkarussell und zwei Speiseeismaschinen. Als die „Adler-Wirtin“ Josefa Fink, eine Tante des Altbürgermeisters Michael Mayer aus Roßhaupten, von der Familie erfuhr, bot sie dieser ihr Austragstüble gegenüber der Gaststätte als neue Unterkunft an. Die resolute und furchtlose Wirtin (sie wurde auch als Pantoffelwirtin bezeichnet, weil sie so manchen Biertrinker auch mal aus dem Hinterhalt mit ihrem Pantoffel versohlte) stand dem NS-Regime sehr kritisch gegenüber. Ihr Sohn Theodor war mit 21 Jahren in Italien gefallen.
Fortan lebte ben Mansour mit seiner Familie mitten in Glöttweng. Für die Landkinder war er eine echte Sensation. Noch heute erinnert sich der Nachbar Philipp Lutz und sein Bruder Adolf an den „schwarzen Mann“. „Als ich ihn zum ersten Mal sah, bin ich richtig erschrocken“, erzählt Adolf Lutz über seine erste Begegnung.
Mit seinem handbetriebenen, selbstgebasteltem Kinderkarussell und seinen zwei Eismaschinen war ben Mansour „die Attraktion“ während der Kriegszeit auf allen Kirchweihfesten und Jahrmärkten der Umgebung. Sein Speiseeis schmeckte ganz anders, als das der üblichen Mitanbieter. Auch mit seinem türkischen Honig machte er immer mehr Geschäft als die anderen, weil ben Mansour wegen seiner Hautfarbe etwas Exotisches an sich hatte. Philipp Lutz (80) erinnert sich, dass er als kleiner Junge bei der früheren „Lammbrauerei“ in Burgau Eisstangen für ben Mansour besorgte. Auch die Bauernbuben die das Karussell drehten, bekamen zur Belohnung eine Extratour auf dem Karussell geschenkt. Am 23. April 1945 nahte das Kriegsende. Eine SS-Einheit, zu allem entschlossen, stärkte sich in unmittelbarer Nähe im Gasthaus. Als bald darauf die amerikanischen Panzer von Winterbach herkommend anrückten, war das Leben von Mohammed ben Mansour und seiner Familie endgültig gerettet.
Doch das Schicksal geht manchmal seltsame Wege. Ben Mansour wollte mit Lebensmittel und Geld im Rucksack zu seiner inzwischen in Berlin lebenden Tochter über die Grenze in den sowjetischen Sektor. Als die Reisen dorthin immer gefahrvoller wurden, vertraute er sich einem Schlepper an. Das war wahrscheinlich ein fataler Fehler. Ben Mansour wurde beim Grenzübergang Hof in einen Hinterhalt gelockt, ausgeraubt und ermordet. Die Leiche wurde gefunden, doch als seine Frau den Leichnam heimholen wollte, war er verschwunden und für immer verschollen.
Vor einigen Jahren besuchten die Enkel Enrico (73) und sein jüngerer Bruder Axel Frohn, die mit dem Zirkus Krone durch ihren Vater verwandt sind, ihre damalige Unterkunft. „In diesem Haus haben wir einige Jahre gelebt und sind hier zur Schule gegangen“, erzählten die Gäste den jetzigen Besitzern Georg und Irmgard Fink von ihren Kindheitserinnerungen. „Noch heute erkundigen sich Gäste, nach dem „schwarzen Mann“, der in ihrer Kindheit im Austragstüble der Oma lebte“, berichtete Irmgard Fink. Er brachte mit seinem Kinderkarussell, dem türkischen Honig und seinem leckeren Speiseeis in einer tristen Zeit ein wenig Lebensfreude in den östlichen Landkreis. Wo Mohammed ben Mansour, der die Nazizeit auf so seltsame Weise überlebt hat begraben liegt, weiß niemand. Seine Tochter Tefida Frohn starb am Fronleichnamstag im Jahre 2010 im Altersheim in Günzburg.
Den veröffentlichten Bericht können Sie auch auf der Website der Augsburger Allgemeinen nachlesen:
http://www.augsburger-allgemeine.de/guenzburg/Mit-Karussell-und-Eis-gegen-die-Kriegswirren-im-Holzwinkel-id34106472.html